Ist Böllern ok? Oder sollten wir es lassen?

Feuerwerk am Nachthimmel | ©Public Domain | Originalbild auf Wikimedia Commons

Morgen feiern wir wieder einen Jahreswechsel. Pünktlich drei Tage vorher beginnt jedes Jahr die Böllerei und findet ihren Höhepunkt um Mitternacht des 31. Dezember. Genauso pünktlich kochen die Gemüter hoch. Böllergegner:innen sehen sich, gestützt auf gute Argumente, auf der moralisch richtigen Seite. Jeder Knall, jedes einzelne Aufblitzen von Feuerwerk treibt ihr Erregungslevel in die Höhe. Böllerfans interessiert das nicht. Sie frönen ihrer Lust. Ist Böllern ok? Oder sollten wir es lassen?

Der Zauber des Zündelns

Ein Klick, ein Zischen, die Lunte sprüht Funken. Der Böller wird weggeworfen, zunächst noch viel zu früh. Er fällt auf den Boden, explodiert nach einer gefühlten Ewigkeit. Das Timing wird mit jedem Böller besser. Gekonnt wird er so geworfen, dass er wahlweise in der Luft, beim Fallen in einen Abflussschacht oder im Wasser eines Flusses oder Sees explodiert. Erfolgserlebnis, wohliges Gefühl der Selbstwirksamkeit, Herrschaft über die Gefahr… (So nicht! Befolgen Sie die Anleitung!)

Die eindringliche Einweisung des Onkels. Das Kind hoch konzentriert, stolz auf das ihm entgegengebrachte Vertrauen. Ein Klick, ein Zischen, die Lunte sprüht Funken. Beide entfernen sich rasch. Silberne Sterne, goldene Funken, Kugeln in Rot, Grün, Blau. Knisternd, knatternd, pfeifend. Gebanntes Schauen, Selbsvergessenheit, tiefe Kontemplation. Farben und Licht, wunderschön in dieser dunklen Jahreszeit. Gemeinsame Momente, Verbundenheit, schöne Erinnerungen…

Feinstaub statt Feenstaub

Laut einer Veröffentlichung des Umweldbundesamtes (UBA) mit dem Titel Silvesterfeuerwerk: Einfluss auf Mensch und Umwelt verursacht das Böllern ein Prozent der jährlich in Deutschland freigesetzten Feinstaubmenge bei Partikeln bis 10 mikrometer (PM10). Bei Partikeln bis 2,5 mikrometer (PM2,5) sind es sogar 2,5%. Lokal und zeitlich begrenzt (in innerstädtischen Lagen in der ersten Stunde des neuen Jahres) steigt die Konzentration von PM10 auf das 66-fache des Jahresdurchnitts an. Sie liegt damit 20-fach über dem von der EU vorgegebenen zulässigen Tagesmittelwert, welcher nicht öfter als 35 Mal pro Jahr überschritten werden darf. Wie schnell diese Konzentration sinkt, hängt von Wind und Regen ab. PM10 kann beim Menschen in die Nasenhöhle, PM2,5 bis in die Bronchien und Lungenbläschen eindringen. Zur dadurch verursachten Gesundheitsgefährdung schreibt das Umweltbundesamt:

Das Einatmen von Feinstaub gefährdet die menschliche Gesundheit – und zwar bei kurzfristig hoher wie auch bei langfristig erhöhter Belastung. Die Wirkungen reichen von vorübergehenden Beeinträchtigungen der Atemwege über einen erhöhten Medikamentenbedarf bei Asthmatikern bis zu vermehrten Krankenhausaufnahmen wegen Atemwegserkrankungen und Herz Kreislauf Problemen sowie einer Zunahme der Sterblichkeit.

(Knall-)Trauma statt süßer Traum

Bei sachgemäßer Verwendung (Einhalten von 8 Meter Abstand) von zugelassenem Feuerwerk treffen relativ unbedenkliche 120 dB Schalldruck auf das Ohr. Dennoch erleiden laut der oben erwähnten Veröffentlichung des UBA jedes Jahr zu Silvester ca. 8.000 Menschen Schädigungen des Innenohres durch Feuerwerkskörper. Hinzu kommen Verbrennungen und Verletzungen verschiedener Art, vor allem an den Händen. Laut Unfallkrankenhaus Berlin treten in der Folge teilweise sogar posttraumatische Belastungsstörungen auf (Quelle: NTV). Ursachen sind unsachgemäße Verwendung oder der Gebrauch nicht zugelassener Feuerwerkskörper. Eigentlich beides vermeidbar. Darum ansich kein Grund für Böllerverzicht. Aber es passiert eben doch tausendfach.

Zu beachten ist auch, dass insbesondere der Lärm eine große Belastung für Haus- und Wildtiere ist. Zahlen liegen hier zwar nicht vor, aber es werden immer wieder verletzte oder gar tote Tiere gefunden (Quelle: NABU Leipzig). Es gibt Hundebesitzer:innen, die mit ihren panischen Vierbeinern sogar in böllerfreie Zonen an Flughäfen flüchten (Quelle: SWR3).

Viel Dreck statt sauberer Neustart

Das UBA zitiert in seiner Veröffentlichung den Verband kommunaler Unternehmen e.V. (VKU). Dieser gibt für das Jahr 2018 an, dass allein in den fünf größten deutschen Städten (Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt am Main) 191 Tonnen nicht entsorgter Silvesterabfall von Straßen und Gehwegen entfernt werden mussten. Laut einer Analyse von Forschenden der Hochschule Pforzheim beträgt die Menge des allein durch das Böllern verursachten Kunststoffmülls 3.500 Tonnen (Quelle: MDR). Zum Vergleich: An Kunststoffabfällen fielen 2021 in Deutschland insgesamt fast 5,7 Mio Tonnen an (Quelle: UBA).

Endlich her mit dem Böllerverbot?

Feinstaub, verletzte Menschen, gequälte Tiere und ganz viel Müll. Alles unnötig und vermeidbar, denn Böllern muss schlicht nicht sein. Daran denken Böllergegner:innen jedesmal, wenn sie einen Knall hören oder ein Aufblitzen sehen. Die Ignoranz der Böllernden ist ihnen eine Zumutung. Das Böllern gerät ihnen in ihrem gerechten Zorn zum Hassverbrechen. Auch wenn diese Einschätzung sicher übertrieben ist, haben Böllergegner:innen unwiderlegbare Argumente. Ihre Forderung nach einem Böllerverbot ist daher diskutabel. Sie versuchen sich bei der Politik Gehör zu verschaffen, z.B. die Deutsche Umwelthilfe mit einem offenen Brief für ein böllerfreies Silvester an Bundesinnenministerin Nancy Faeser.

Geht auch weniger?

Diese Frage richtet sich zunächst an die Böllergegner:innen. Ein Argument für ein Verbot ist, dass das Böllern schlicht nicht notwendig sei und nur dem Lustgewinn diene. Die daraus folgenden Schäden wären also total unnötig und daher nicht zu tolerieren. Wir tun jedoch viele nicht notwendige Dinge zum Zwecke des Lustgewinns. Wir nehmen die dadurch verursachten und ansich unnötigen Schäden in Kauf. Es soll bei dieser Entgegnung nicht um Whataboutism gehen. Es soll nur gezeigt werden, dass die nicht vorhandene Notwendigkeit einer mit schädlichen Folgen behafteten Tätigkeit alleine kein Argument sein kann, sie verbieten zu wollen.

Das zweite Argument sind die Schäden selbst. Ihr Ausmaß kann, wie weiter oben gezeigt, als nicht tolerabel angesehen werden. Dies würde eine Verbotsforderung rechtfertigen. Ein Verbot ließe sich nur vermeiden, wenn es gelänge, die Schäden auf ein tolerables Maß zu senken. Und damit richtet sich die Frage “Geht auch weniger?” an die Böllerfans. Zu diesen gehört übrigens auch der Autor. Er stellt und beantwortet sich die Frage darum per Schreiben dieses Posts selbst.

Weniger Lärm

Die Lärmbelastung lässt sich einfach reduzieren. Es wird bereits heute lärmreduziertes Feuerwerk angeboten. Der Markt sorgt so auf der Anbebotsseite bereits für die Erreichung des Ziels der Schadensminderung durch Lärmreduktion. Es wird allerdings weiterhin lautes Feuerwerk nachgefragt. Der Markt versagt also auf der Nachfrageseite. Sofern sich die Nachfragenden nicht durch Kampagnen vom Kauf von lautem Feuerwerk abhalten lassen, sind hier mit hoher Wahrscheinlichkeit Vorgaben nötig.

Weniger Müll und weniger Feinstaub

Die Menge des Mülls als auch des verursachten Feinstauges lässt sich technisch nicht wesentlich reduzieren. Es muss also angestrebt werden, dass insgesamt weniger Feuerwerk abgebrannt wird. Sowohl Angebots- als auch Nachfrageseite haben bewiesen, dass sie daran kein Interesse haben. Hier versagt der Markt und es sind definitiv Vorgaben nötig.

Der Markt wirkt bei der Art des Mülls angebotsseitig etwas hilfreich. Es wird bereits heute plastikfreies Feuerwerk angeboten. Es ist damit frei von ganz schlechtem Müll und besteht im wesentlichen nur noch aus dem weniger schlechten Müll Pappe, Holz und Ton. Allerdings bestehen auch hier Zweifel an der Nachfrageseite, sodass mit hoher Wahrscheinlichkeit Vorgaben nötig sind.

Mögliche Zielvorgaben bzw. politische Forderungen

Wie oben gezeigt, wird “der Markt” absehbar nicht für die Erreichung der angestrebten Ziele sorgen. Sie müssen also mittels einer entsprechenden Gesetzgebung und politischen Maßnahmen erreicht werden. Der Autor schlägt folgendes vor und stellt es zur Diskussion:

  1. Senkung der Obergrenze für den durch Silvesterfeuerwerk verursachten Schalldruck. Hiermit soll die Beeinträchtigung für Haus- und Wildtiere sowie das Risiko für Schäden des Innenohrs minimiert werden. Als Nebenefekt würden Schweregrad und Anzahl der sonstigen Verletzungen zurück gehen.
  2. Einschränkung des Verkaufs auf einen Werktag, sofern logistisch nicht möglich, dann zwei Werktage anstatt wie heute drei. Hiermit soll das heute schon unerlaubte Böllern vor Silvester vermieden werden. Der Zeitraum der verbleibenden Belästigung verkürzt sich dadurch.
  3. Verbot von Plastik in Feuerwerk. Hiermit soll das Anfallen “schlechten Mülls” vermieden werden.
  4. Maßnahmen zur Reduktion des abgebrannten Feuerwerks auf die festzulegende Gesamtmenge. Eine Rationierung erscheint hier zu sozialistisch. Die Reduktion kann durch Setzen eines entsprechenden Preissignals erreicht werden. Bei angenommen umgekehrt proportionalem Effekt und angestrebter Reduktion um z.B. die Hälfte wäre der Preis zu verdoppeln.

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